Abstracts und Kurzbiografien
Roger Behrens
geboren 1967, in Hamburg, lebt dort mit seiner Freundin und drei Kindern. Roger Behrens ist Kleingärtner, Heimwerker und wäre gerne Handwerker geworden, scheiterte mit seiner akademischen Karriere. Biografische Angaben zu seinen Leistungen finden sich im Internet.
Reason and Counterrevolution. Dialectical Imagination, Paralysis of Criticism, Resignation
Radikales Denken im Anthropozän bedeutet Kritik am Anthropozän: Die geochronologische Epoche, die maßgeblich durch den Einfluss des Menschen auf natürliche Entwicklungen und Veränderungen bestimmt sein soll, markiert auch die Epoche, in der Milliarden von Menschen auf höchstem zivilisatorischen Niveau im Elend leben und sterben. Realer Humanismus ist zugleich reale Unmenschlichkeit, die Zerstörung der ersten Natur ist gekoppelt mit der Destruktivität der zweiten Natur. Radikales Denken als Kritik zielt auf Praxis, und zwar auf emanzipatorische Praxis als revolutionäre Aneignung der Welt und des Selbst. Diese Praxis ist gescheitert, die Kritik gelähmt. Demgegenüber muss sich die Kritische Theorie als Praxis neu behaupten; das Auftauchen des Menschen bleibt Aufklärung, das bedeutet die Restitution des radikalen Denkens - als Praxis.
Rodrigo Duarte
hat 1990 an der Universität Kassel (Deutschland) promoviert. Im selben Jahr wurde er Professor am Fachbereich Philosophie der Bundesuniversität von Minas Gerais (Belo Horizonte, Brasilien). Von 2006 bis 2014 war er Präsident der Brasilianischen Vereinigung für Ästhetik (ABRE) und ist bis 2026 Präsident der Internationalen Vereinigung für Ästhetik. Neben zahlreichen Artikeln und Kapiteln von Sammelwerken in Brasilien und im Ausland gehören zu Rodrigo Duartes Buchveröffentlichungen (unter anderem): Teoria crítica da indústria cultural (Ed UFMG, 2003), Dizer o que não se deixa dizer. Para uma filosofia da expressão (Hrsg. Argos, 2008), Deplatzierungen. Aufsätze zur Ästhetik und kritischen Theorie (Max Stein Verlag, 2009; zweite Auflage: Springer, 2017), Pós-história de Vilém Flusser. Gênese-anatomia-desdobramentos (Editora Annablume, 2012) und Varia Aesthetica. Ensaios sobre arte & sociedade (Relicário Edições, 2014).
Oswald de Andrade's Anthropophagy as a Model of Radical Thought
Oswald de Andrade (1890-1954) war ein brasilianischer Dichter, Romancier, Dramatiker, Philosoph und Journalist, der 1922 für die Woche der modernen Kunst in São Paulo mitverantwortlich war, die in Brasilien die erneuerte künstlerische Sprache der europäischen Avantgarde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einführte. Bekannt wurde er auch durch seine beiden Manifeste: Das erste, "Manifest der pau-brasilianischen Poesie" (1924), forderte die Abkehr von der jahrhundertelangen Rolle Brasiliens als Importeur europäischer Kulturgüter. Stattdessen, so das Manifest, könnte die Kultur des Landes auch ein Exportgut sein. De Andrades Zusammenarbeit mit europäischen Schriftstellern, wie dem Schweizer Blaise Cendrars, bereitete die anthropophagische Phase seiner intellektuellen Aktivitäten vor. Das "Anthropophagische Manifest" (1928), inspiriert von den kannibalistischen Ritualpraktiken der brasilianischen Ureinwohner, besagt, dass brasilianische Kulturproduzenten die Inhalte fremder Kulturen verschlingen und das Beste davon mit Themen der autochthonen Produktion verschmelzen sollten. Daraus sollten brandneue Kulturgüter hervorgebacht werden, die sowohl den avantgardistischen Anspruch der Innovation als auch die Notwendigkeit der Etablierung einer genuin brasilianischen Gegenwartskultur erfüllen würden. Nachdem Oswald de Andrade 1931 der Kommunistischen Partei Brasiliens beigetreten war, wurde die Idee der kulturellen Anthropophagie immer politischer. In den vierziger und Anfang der fünfziger Jahre versuchte er, sie als eine umfassendere Weltanschauung zu etablieren, die nicht nur künstlerische Aspekte, sondern auch politische, ideologische und philosophische Gesichtspunkte einschloss. Seitdem verfolgte er das Projekt, der Begründer einer anthropophagischen Philosophie zu werden, die sich nicht nur auf marxistische, nietzscheanische und freudianische Standpunkte stützen sollte, sondern auch auf die Inspiration durch die Praktiken und die Kosmovision der brasilianischen Ureinwohner. Nach Ansicht von Experten der brasilianischen Moderne wie Benedito Nunes nahmen die in seinen Werken Anfang der 1950er Jahre vertretenen Standpunkte - insbesondere Diese Krise der messianischen Philosophie und Der Marsch der Utopien - Ideen vorweg, die in Marcuses Eros und Zivilisation, dessen erste Veröffentlichung 1955 erfolgte, dargelegt wurden.
Heiko Feldner
lehrt Germanistik und kritische Theorie an der Universität Cardiff. Heiko Feldner arbeitet derzeit an einem grafischen Essay mit dem Titel Sociodicy, or: The Meaning of 1989" mit der bildenden Künstlerin und Illustratorin Ute Feldner.
New Utopian Realism
Wie sind wir stecken geblieben?", fragen David Graeber und David Wengrow in ihrer neuen Geschichte der Menschheit, The Dawn of Everything, mit entwaffnender Offenheit. Wie sind wir in einem einzigen Modus [der sozialen Existenz] gelandet? In der Tat: "Wie kam es dazu, dass wir Eminenz und Unterwürfigkeit nicht als vorübergehende Hilfsmittel betrachten ... sondern als unausweichliche Elemente der menschlichen Existenz?" Auf der Grundlage des Konzepts der "Soziopolitik" wird im ersten Teil dieses Beitrags untersucht, wie wir in die Falle gegangen sind. Obwohl der Begriff "Soziodisziplin" nicht weit verbreitet ist, taucht er seit den 1960er Jahren in verschiedenen sprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten auf, während das Konzept, von dem er sich ableitet, auf das Theodizee-Motiv des 17. Jahrhunderts zurückgeht. Im Großen und Ganzen wurde "Soziodiät" verwendet, um aufzuzeigen, wie soziale Systeme trotz der ihnen innewohnenden Ungerechtigkeiten und Schrecken legitimiert und aufrechterhalten wurden.
Ich habe den Begriff modifiziert, um die zentrale Rolle hervorzuheben, die der Glaube für die Wirksamkeit sozialer Phantasiegebilde spielt. In dieser Lesart rechtfertigen Soziodizeps nicht so sehr die Existenz oder den Modus Operandi einer bestimmten sozialen Ordnung angesichts von Ungerechtigkeit und Leid, sondern sie verteidigen unseren Glauben an ihre Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit und höchste Tugend. Sie verteidigen die Plausibilität dieses Glaubens als praktische Haltung, als Seinsweise und als Erlösungsweg, der mit tausend Stimmen und aus allen politischen Lagern zu uns spricht. Der zweite Teil meines Beitrags befasst sich mit der Verlockung der Soziodik, indem er ihre tiefe libidinöse Anziehungskraft und politische Schwere anerkennt. Er liefert weder eine "Utopie für Realisten", noch kann er ein Happy End für das Zeitalter der rasenden De-Zivilisation und des kapitalistischen Ausrottungsmanagements aufzeigen. Wenn der Begriff "Soziodisziplin" versucht, eine bestimmte Art von Legitimationsdiskurs zu erfassen, dann steht der "neue utopische Realismus" für neue kollektive Bemühungen, sich von seiner zirkulären Kausalität und seinem engen Sinn für das Reale zu lösen.
Stefan Gandler
Doktor der Philosophie (Universität Frankfurt 1997). Professor für Gesellschaftstheorie und Philosophie (Universidad Autónoma de Querétaro/Universidad Nacional Autónoma de México). Stefan Gandlers Bücher: Peripherer Marxismus (1999), Frankfurter Fragmente (2013), El discreto encanto de la modernidad (2013), Fragmentos de Frankfurt (2009/2011/2014), Materialismus und Messianismus (2008), Marxismo crítico en México (2007/2009/2015), Critical Marxism in Mexico (2015/2016); Herausgeber von Modernidad y diferencia (Mexiko 2010), Teoría crítica: imposible resignarse (2016) und Teoría crítica desde las Américas (2021), Artikel in 7 Sprachen.
Emancipation of Use-value in the Critical Theory from the Americas
Während die "klassische" kritische Theorie gegen den orthodoxen Marxismus die Eingriffsmöglichkeit des Subjekts hochhält, zweifelt der mexikanisch-ecuadorianische Sozialphilodoph Bolívar Echeverría (Riobamba 1941 – México, D.F. 2010) an der unbeschränkten Veränderbarkeit des Gegebenen und auch daran, ob es wünschenswert ist, alles der menschlichen Praxis zu unterwerfen. Er ist dabei nicht so sehr von ökologischen Debatten inspiriert, in denen ebenfalls auf die fatalen Folgen unbeherrschter menschlicher Praxis aufmerksam gemacht wird, sondern bezweifelt mehr, was die menschlichen Gesellschaften selbst betrifft, ob diese so einfach von heute auf morgen veränderbar sind.
Er geht dabei von tiefliegenden komplexen Organisationsformen der jeweiligen Gesellschaften aus, die wesentlich mehr umfassen als nur den Umstand, ob sie beispielsweise kapitalistisch sind oder nicht. Auch innerhalb der kapitalistischenProduktionsweise sieht er höchst unterschiedliche Formen der Alltagsorganisation, die stark auf der jeweiligen Art und Weise der Produktion und Konsumtion der Gebrauchswerte aufbauen und von ihm mit dem neuen Begriff „historisches Ethos“ belegt werden. Ausgehend von diesem produktiv-kritischen Gebrauchswertbegriff, der zivilisatorische Differenzen nicht abstrakt-universalistisch verschweigt - allerdings ohne sie zu essentialisieren -, ist es im zunehmend gewaltförmigen 21. Jahrhundert um die Entwicklung eines Begriffs des konkreten Universalismus als Grundlage einer gebieterisch notwendigen kritischen Theorie aus den Amerikas zu tun, die Horkheimers et al., Ansätze aufgreift, ohne aber den auch ihnen anklebenden Eurozentrismus wohlwollend durchzuwinken.
Gabriele Geml
ist Universitätsassistentin am Institut für Philosophie der Universität Wien und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision in freier Praxis. Gemeinsam mit Han-Gyeol Lie leitet sie den Verein für Ästhetik und angewandte Kulturtheorie (Verein.akut). Ihr Philosophiestudium schloss sie mit einer Dissertation über Adornos Theorie der Zeit ab. Forschungsschwerpunkte: Sprachphilosophie, Zeittheorie, Theorie der Subjektivität, Sozialphilosophie und Kritische Theorie, Ästhetik, Musikphilosophie, Geschichte der Philosophie seit der Aufklärung. Aktuelles Forschungsprojekt: Sprachphilosophie unter Berücksichtigung von Sprachstörungen. Zur philosophischen Reflexion der Aphasie. Gabriele Gemls Buchveröffentlichungen: 'Gründlich rhapsodisch. Theodor Wiesengrund Adorno: Das kompositorische Werk (Hrsg. mit Han-Gyeol Lie, Stuttgart 2017); Adornos Kritische Theorie der Zeit (Stuttgart 2020); Dichter als Leser Kants (Hrsg. mit Violetta L. Waibel, Sarah Caroline Jakobsohn und Philipp Schaller).
Theory as a Form of Praxis. Language and Linguistic Shape in Early Critical Theory
In der kritischen Theorie von Horkheimer und vor allem Adorno wurde dem sprachlich-ästhetischen Entwurf ein großes Gewicht beigemessen. Dialektisch wird die Theorie von ihnen als "Gestalt von Praxis" verstanden. Bei den späteren Generationen von Autoren der Kritischen Theorie tritt die sprachlich-ästhetische Komplexität in den Hintergrund. Im Vortrag werden zunächst einige praxisrelevante Dimensionen der Sprachgestalt der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos expliziert. Anschließend wird die polemische Komponente von Adornos Schriften in den Blick genommen - verbunden mit der Frage, ob wir uns auf eine gesellschaftliche Situation zubewegen, in der für ihre Lektüre bald eine "Triggerwarnung" erforderlich sein wird.
Lydia Goehr
ist die Autorin von The Imaginary Museum of Musical Works: An Essay in the Philosophy of Music (1992; zweite Auflage mit einem neuen Essay, 2007); The Quest for Voice: Music, Politics, and the Limits of Philosophy [Aufsätze über Richard Wagner] (1998); Elective Affinities: Musical Essays on the History of Aesthetic Theory [Aufsätze über Adorno und Danto] (2008), und Mitherausgeber mit Daniel Herwitz von The Don Giovanni Moment. Essays on the legacy of an Opera (2006). Ihr 2021 bei Oxford University Press erschienenes Buch ist Red Sea-Red Square-Red Thread. Eine philosophische Detektivgeschichte. Und sie ist zusammen mit Jonathan Gilmore Mitherausgeberin von Blackwell's A Companion to Arthur C. Danto (2022). Lydia Goehr hat zahlreiche Artikel über das Werk von Theodor W. Adorno, Maurice Merleau-Ponty und Arthur Danto verfasst. Sie bietet Kurse in der Geschichte der ästhetischen Theorie, der zeitgenössischen Philosophie der Künste, der kritischen Theorie und der Geschichtsphilosophie an. Ihr Forschungsinteresse gilt der deutschen ästhetischen Theorie und insbesondere der Beziehung zwischen Philosophie, Politik, Geschichte und Musik. Zusammen mit Gregg Horowitz ist sie Herausgeberin der Reihe Columbia Themes in Philosophy, Social Criticism, and the Arts, Columbia University Press.
Mistakes, Errors, and Accidents: New and Old Keys to Analysis in Film, Music, and the Machine Age
Der Vortrag stellt drei Formen der Analyse gegenüber, die um 1900 entstanden sind und danach lange Zeit in der analytischen Philosophie, der Musikanalyse und der Psychoanalyse dominierten. Jede Form thematisiert das Streben nach Sinn als ein Aufbrechen oder einen Zusammenbruch, als ein Durcharbeiten, um eine bestimmte Struktur oder Behauptung von Sinn entweder herzustellen oder aufzuheben. Jede Form geht von der Frage aus, was es bedeutet, einen Fehler zu machen, im Irrtum zu sein oder einen Unfall zu haben (oder sogar zu fördern). Der Vortrag bewertet die Relevanz der Analyse heute: Ist die Analyse noch relevant, und wenn ja, unter welchen zeitgenössischen Bedingungen?
Daniela Holzer
Assoz. Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft, Abteilung Erwachsenen- und Weiterbildung, Universität Graz. Habilitationsschrift: Widerstand gegen Weiterbildung. Eine kritische Theorie der Verweigerung (2017). Mitglied der Initiative Kritische Erwachsenenbildung und inhaltliche Leiterin der wissenschaftlichen Workshopreihe "Die dunkle Seite der Erwachsenenbildung". Daniela Holzers Forschungsinteressen sind Kritische Philosophie und Bildungstheorie, Kritische Erwachsenenbildung, Theoretisierung und Kritische Epistemologie, die Verschränkungen von Pädagogik, Gesellschaft und Politik.
Negative and Radical Thinking in Educational Science. Rethematizing Unyielding Critical Theory
Negatives Denken und radikale Kritik finden in den Erziehungswissenschaften derzeit wenig Anklang. Zwar wurden in den 1960er und 1970er Jahren kritische, ja radikale Ansätze aufgegriffen und diskutiert, doch setzte wie in vielen anderen Disziplinen auch hier schnell eine Relativierung und Abschwächung ein. Einer der Hauptgründe für diese Ablehnung ist die Tatsache, dass sich die Erziehungswissenschaft vor allem als Handlungswissenschaft positioniert. Der Fokus liegt auf praktischen Möglichkeiten und positiven Zukunftsorientierungen. Negatives Denken und radikale gesellschaftskritische Positionen werden als "unpraktisch" und irrelevant abgelehnt. In den letzten Jahren ist jedoch eine Zunahme radikaler Analysen zu beobachten, die u.a. die Potentiale kritisch-theoretischen Denkens für die pädagogische Theorie und Praxis herausarbeiten.
In diesem Vortrag werde ich zunächst kurz einige historische Linien der kritischen Erziehungswissenschaft nachzeichnen. Anschließend werden einige aktuell diskutierte kritische Ansätze skizziert, insbesondere solche, die sich auf ältere kritische Theorie beziehen oder eine erkenntniserweiternde Synergie von älteren und neueren Ansätzen versuchen. Ausgehend von meinen Forschungen zu einer kritischen Theorie des Widerstands gegen Weiterbildung werde ich dann einige Überlegungen zum negativ-dialektischen Denken als Methode der Theoriebildung skizzieren und den Widerstand gegen Weiterbildung als mögliche radikale Gesellschaftskritik argumentieren.
Susanne Kogler
studierte Musikpädagogik, Klassische Philologie und Musikwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität und an der Kunstuniversität in Graz. Dissertation zum Thema "Sprache und Linguistik im zeitgenössischen Musikschaffen" (Studien zur Wertungsforschung 39, Graz/Wien: Universal Edition, 2003). 2012 Habilitation am Institut für Musikwissenschaft der Universität Graz mit der Studie "Adorno versus Lyotard: Moderne und postmoderne Ästhetik" (Veröffentlichung 2014, Karl Alber Verlag, Freiburg). 1996-2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wertforschung an der Kunstuniversität Graz, 2010-2011 stellvertretende Leiterin des Zentrums für Genderforschung, seit 2012 Leiterin des Universitätsarchivs. Lehrauftrag als Privatdozentin am Institut für Musikwissenschaft der Universität Graz sowie als Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien (2009) und Klagenfurt (2014). 2006-2009 Forschungsaufenthalt in Paris (Charlotte-Bühler-Habilitationsstipendium des FWF). Gastprofessur an der New York City University (2005) und an der Universität Paris 8 (2007 und 2010). Susanne Kogler publiziert zahlreich zur Musikgeschichte und Ästhetik des 19. bis 21. Jahrhunderts.
Art as Radical (Feminist) Thought: Materialism and Aesthetic Theory in the Anthropocene
Der Beitrag geht der Frage nach, inwiefern Adornos kritisches Denken über Kunst Perspektiven für eine materialistische Ästhetik heute und in der Zukunft bietet. Ausgehend von der Definition der Kunst als Verhaltensweise und damit als existentielle Dimension des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens, wie sie sich unter anderem in Adornos Musikalischen Schriften, seinen Notizen zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion und in seiner Ästhetischen Theorie findet, werden neuere Kompositionen von Komponistinnen auf charakteristische Merkmale hinsichtlich des verwendeten künstlerischen Materials und innovativer Handlungs- und Interaktionsweisen hin untersucht. Weitere Aspekte sind die Ansichten der Künstlerinnen über die Natur, den menschlichen Körper, die Technologie und die Innovation.
Sven Kramer
Univ.-Prof. Dr. habil., legte 1990, 1995 und 2001 seine Habilitationsschriften an der Universität Hamburg vor und kam dann über Toronto und Melbourne an die Leuphana Universität Lüneburg, wo Sven Kramer seit 2005 Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literarische Kulturen lehrt.
On Interrelations Between Humans and Nature in Contemporary Literature
Der Vortrag untersucht Darstellungen und Reflexionen von Mensch-Natur-Beziehungen
unter den Bedingungen des Anthropozäns in der deutschsprachigen Literatur.
Dabei soll gezeigt werden, dass zentrale Thesen der Frankfurter Schule zum Verhältnis von Mensch und Natur in der zeitgenössischen Werken der Gegenwartsliteratur wiederkehren. Dies gilt zum einen für die Beherrschung der Natur durch den Menschen und zum anderen für den Zusammenhang zwischen kultureller Produktion und Natur, der auch in den Debatten um das Nature Writing thematisiert wird.
Sarah Pogoda
ist Dozentin an der School of Arts, Culture and Language an der Universität Bangor, Wales, UK. Ihr Forschungsinteresse gilt der Avantgarde des 20. und 21. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Performance. Jahrhunderts mit dem Schwerpunkt Performance. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf dem deutschen Filmemacher, Theaterregisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief (1960-2010). Ihr besonderes Interesse gilt auch dem politischen Potenzial der Kunst und der Art und Weise, wie sich zeitgenössische Künstler in den öffentlichen Raum einmischen. Sarah Pogoda setzt sich dafür ein, die Methoden des kritischen Denkens in der akademischen Welt zu diversifizieren, indem sie sich mit künstlerischen Forschungsmethoden auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang ist sie Mitbegründerin des experimentellen Avantgarde-Kunstkollektivs NWK, das von der Deutsch-Walisischen Freundschaft unterstützt wird.
From cheap knock-offs and Already Mades. Forms of New Welsh Criticism
Der Vortrag widmet sich der künstlerischen Forschung der von mir 2020 in Nordwales mitbegründeten Formation Neue Walisische Kunst - Aufbauorganisation (NWK-AO). NWK-AO experimentiert spielerisch mit Ästhetiken und Praktiken der Avantgarden, wobei die gewählte Pluralfrom Avantgarden den Begriff für seine diversen und nicht einheitlichen Erscheinungsformen in ihren je anderen historischen Situationen als brauchbar setzt.
Die NWK-AO bekennt sich in ihren Anfängen explizit auf Dadaismus, Fluxus und in ihrer Namensgebung hallt die Retrogarde der Neuen Slowenischen Kunst nach. Ihr visuelles Erscheinungsbild macht zudem Anleihen beim sowjetischen Konstruktivismus, ihre Happenings, Aktionen und Medienkunst bei der Arte Povera, dem DIY des Punk und einem institutionskritischen Dilettantismus, und überdeutliche Bezüge zu Joseph BeuysWolf Vostell, Alexander Kluge, Jonathan Meese, Heiner Müller und Christoph Schlingensief finden sich auf allen Ebenen.
Der Vortrag wird anhand von prozessorientierter Reflexion prüfen, ob und wie die Techniken des billigen Abklatsch und des Already-Made kritische Praxisformen vorstellen, die einen epistemischen Zustand des Nicht-Verstehens evozieren. In einem weiteren Schritt wird der Vortrag erkunden, ob das utopische Aufbrechen der (Nicht-)Identität eben auch unser Verständnis der Avantgarde betrifft. Diese, so vielleicht die Hypothese des Vortrages, scheint nämlich auf als das Neue im Nicht-Neuen von billigem Abklatsch und Already-Made.
Michael Thompson
ist Professor für Politische Theorie im Fachbereich Politikwissenschaft an der William Paterson University. Er ist außerdem Psychoanalytiker am William Alanson White Institute in New York City. Michael J. Thompson erwarb seinen BA in Sprachen und Literatur an der Rutgers University und promovierte in Politischer Theorie an der City University of New York. Zu seinen Büchern gehören The Politics of Inequality (Columbia University Press, 2007); The Domestication of Critical Theory (Rowman and Littlefield, 2016); The Specter of Babel: A Reconstruction of Political Judgement (SUNY: 2020); und, in jüngster Zeit, Twilight of the Self: The Decline of the Individual in Late Capitalism (Stanford University Press, 2022). Sein nächstes Buch, Descent of the Dialectic, erscheint demnächst bei Routledge.
Phronetic Criticism and the Transformative Potential of Critical Theory
Ich werde für einen Paradigmenwechsel in der kritischen Theorie plädieren, der eine kritische soziale Ontologie gegenüber der gegenwärtigen post-metaphysischen Hinwendung zu Sprache, Anerkennung und anderen pragmatistisch inspirierten Themen betont. Phronetische Kritik betont die Art und Weise, wie unsere sozialen Beziehungen und Praktiken als soziale Wesen die Grundlage für eine Ontologie des Wertes bilden: die Idee, dass Werte in der Welt als Formen des tatsächlich gelebten Lebens realisierbar sind. Indem wir auf Denker wie Hegel, Marx und Fromm zurückgreifen, können wir meines Erachtens beginnen, eine radikalere und politisch relevantere Form der Gesellschaftskritik zu entwickeln. Ethik wird nun nicht mehr zu einer Frage der Kommunikation, der Anerkennung oder der Rechtfertigung, sondern zu einer Frage, wie unser relationales und praktisches Leben in Übereinstimmung mit der sozialen Vernunft gestaltet wird - d.h. in Richtung auf Güter, die eine rationale, freie Form des Lebens zu erfüllen suchen.